Die meisten Kitas sind wieder im Regelbetrieb, aber dennoch ist der Kita-Alltag für alle nach vielen Wochen zu Hause oder in der Notbetreuung anders und neu. Fabienne Becker-Stoll ist überzeugt: Pädagogische Fachkräfte können viel für einen sanften Übergang tun.
Ein kleines Mädchen spielt mit einem Stoffhasen, der eine medizinische Maske trägt. Sie sitzt an einem Tisch im Kinderraum.

Frau Professor Becker-Stoll, gibt es einen entscheidenden Aspekt, damit der Neustart „nach Corona“ gelingt?

Das Allerwichtigste ist, jedes Kind, jede Familie bei der Rückkehr willkommen zu heißen. Zeigen Sie, die pädagogischen Fachkräfte, aufrichtig Ihre Freude darüber, dass die Kita wieder geöffnet hat und die Kinder zurückkommen. Diese Freude ist ansteckend. Optimal wäre es, im Vorfeld mit jeder Familie zu klären, wie das Kind die Schließzeit erlebt hat. Wie war die Stimmung, mit welchem Wissen und welchen Erfahrungen kommt das Kind zurück? Wo können Sie es beim Ankommen gut unterstützen? Es wird in der Anfangszeit wichtig sein, sehr genau zu beobachten und sich im Team darüber auszutauschen, was das jeweilige Kind als Starterleichterung braucht. Man muss jedem Kind die Zeit geben, die es benötigt.

Können neue Rituale helfen, die ungewohnte Situation zu „entschärfen“?

Ja, das ist gut möglich. Aber besser ist es, an Vertrautes anzuknüpfen und alte Rituale wie etwa den Morgenkreis so zu gestalten, dass sie in die neue Situation passen. Ich denke etwa an Bewegungsspiele zur Begrüßung und zum Abschied, die jetzt draußen stattfinden. Wenn es gestaffelte Bring- und Holzeiten für die festen Gruppen gibt, lässt sich das gut realisieren.

Was sind Anzeichen dafür, dass es einem Kind in Zeiten von Corona psychisch/mental nicht gut ging und es jetzt besondere Unterstützung braucht?

Das ist im Prinzip nicht anders als beispielsweise nach den Kita-Ferien: Kinder aus belasteten Familien geht es dann weniger gut. Aber diese sind den pädagogischen Fachkräften hoffentlich bekannt und sie gucken und hören jetzt noch feinfühliger hin und reagieren professionell, zum Beispiel indem sie Fachdienste hinzuziehen. Aber längst nicht für alle Kinder war die Zeit der Kita-Schließung schlimm. Manche fanden es großartig, sich zum Beispiel von den Großeltern über Video vorlesen zu lassen und mehr Zeit mit den Eltern zu verbringen.

Sollten die pädagogischen Fachkräfte „Corona“ von sich aus thematisieren oder nur dann ansprechen, wenn die Kinder Gesprächsbedarf signalisieren?

Die Kita hat meiner Meinung nach unbedingt die Aufgabe, sogar den Auftrag, mit den Kindern altersgerecht und einfühlsam über Corona zu sprechen. Ich würde erwarten, dass sich die Teams dazu Material beschaffen, sich vorbereiten und Gesprächsanlässe bieten. Manche Kinder haben unberechtigte Ängste, vielleicht haben die Eltern etwas falsch oder gar nichts erklärt. Dann müssen die pädagogischen Fachkräfte liebevoll aufklären. Nicht mehr erzählen, als die Kinder fragen, keine Vorträge halten, sich aber immer als Gesprächspartnerin oder -partner anbieten. Gegen Ängste hilft Information am besten.

Auch innerhalb des Teams gibt es Personen mit unterschiedlichsten Ängsten: sich anzustecken, etwas falsch zu machen etc.

Das Team muss sich mit dem Thema Corona und all seinen Facetten ernsthaft auseinandersetzen und wiederholt kollegial darüber diskutieren. Die Maßnahmen, die getroffen wurden, sind dazu geeignet, das Infektionsrisiko so gut es geht zu mindern. Das Entscheidende dabei sind die festen Gruppen. Wer – warum auch immer – trotzdem Angst hat, wieder direkt mit den Kindern zu arbeiten, der soll das offen sagen und nicht dazu gezwungen werden. Es ängstigt Kinder, wenn sie Erwachsene erleben, die verunsichert sind. Die Fachkraft könnte etwa im Homeoffice oder Büro arbeiten und den Kontakt zu den Familien halten, deren Kinder noch nicht wieder in die Kita gehen. Vielleicht gibt es auch die Möglichkeit, in den Hortbereich zu wechseln, wo die Kinder mit Abstands- und Hygieneregeln gut umgehen können.

Ab welchem Alter sind Kinder denn in der Lage, Abstands- und Hygieneregeln zu verstehen und umzusetzen?

Je kleiner das Kind, desto stärker braucht es in anstrengenden Situationen die körperliche Nähe zur Selbstregulation. Da funktionieren Abstandsregeln nicht. Dank der festen Gruppen ist das aber nicht schlimm – innerhalb dieser Gruppe ist Nähe ja erlaubt. Gründlich ihre Hände waschen können aber auch schon Krippenkinder, wenn man sie dabei liebevoll begleitet und etwa mit einem Lied anleitet. Beim Abtrocknen und Eincremen der Hände müssen die Erwachsenen noch helfen.

Gibt es einen guten Weg, wie Kinder die neuen Regeln am besten annehmen?

Alles, was neu ist, muss besprochen und begründet werden. Drohen Sie keinesfalls mit Sanktionen, wenn es anfangs nicht klappt. Die Kinder, die schon in der Notbetreuung waren, können wunderbar eingebunden werden und den „Neuankömmlingen“ alles gut erklären. Die Kita kann Kindern und ihren Familien nur dann Sicherheit vermitteln, wenn sie selbst von dem, was sie tut und wie sie es tut, überzeugt ist.

 

Interview mit Professor Fabienne Becker-Stoll
Sie ist Direktorin des Staatsinstituts für Frühpädagogik in München und Mitautorin der aktuellen Broschüre „Bildung, Erziehung und Betreuung in Zeiten von Corona – Eine Handreichung für die Praxis der Kindertagesbetreuung“.
Download der Broschüre unter https://kurzelinks.de/ifp

 

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